Dieser Artikel ist eine elektronische Version meiner Veröffentlichung:

Riede, K. (1994): Die Erhaltung tropischer Diversität - ein verlorener Kampf? Ökozidjournal 7, 2- 7. [Maintaining Tropical Diversity - a Lost Fight?]

und auch so zu zitieren. herkunftsseite mit weiteren Artikeln: Publications by Klaus Riede: http://www.groms.de/data/zoology/riede/publications.html

Die Erhaltung tropischer Biodiversität - ein verlorener Kampf?

von

Klaus Riede

Biodiversität - ein Schlagwort?

Der Begriff der "biodiversity" geht zurück auf ein im Jahr 1986 von der US-amerikanischen National Academy of Sciences in Washington veranstaltetes "National Forum on BioDiversity" (Wilson 1988). Mit transatlantischer Verzögerung wird "Biodiversität" ungefähr seit der deutschen Übersetzung des Sammelbandes von Wilson (1992) auch im deutschen Sprachraum verwendet. Am ehesten läßt sich der Begriff mit "biologischer Vielfalt" übersetzen. Biodiversität umfaßt ganz unterschiedliche Organisatonsstufen des Lebendigen; zunächst die genetische Variation innerhalb einer Art, dann die Mannigfaltigkeit der Arten selber, bis schließlich hin zur Vielfalt unterschiedlicher Landschafts- und Lebensraumtypen. Der Begriff ist so weit gefaßt, daß man auch die Vielfalt sämtlicher Lebensäußerungen, ja sogar menschliche, kulturelle und ethnische Vielfalt unter diesem Begriff zusammenfassen könnte. Eine exakte wissenschaftliche Definition wurde bewußt vermieden, was meines Erachtens die Integration unterschiedlichster Forschungsansätze fördert. Die weite Verwendung und der Erfolg des Begriffs der Biodiversität sowohl bei Wissenschaftlern als auch Politikern hängt möglicherweise mit der traurigen Tatsache zusammen, daß biologische Vielfalt gegenwärtig auf allen genannten Ebenen schwer bedroht ist. Hierzu gibt es inzwischen zahlreiche umfangreiche Studien, auf die ich hier nur verweisen kann; der interessierte Leser findet in den jeweiligen neuen Arbeiten auch umfangreiche weiterführende Literatur (ARA 1990; Wilson 1992).

Im folgenden Artikel möchte ich die Besonderheiten tropischer Biodiversität zusammenfassen, einige bisher unberücksichtigt gebliebene Aspekte herausarbeiten und eine persönliche Beurteilung der gegenwärtigen Situation abgeben.

Genetische Vielfalt

Die Mitglieder einer Art bilden eine Fortpflanzungsgemeinschaft, innerhalb derer eine Vielzahl unterschiedlicher, aber austauschbarer Gene den artspezifischen Genpool bilden (Riede 1990a). Hierdurch ist gewährleistet, daß innerhalb einer Art eine gewisse Variationsbreite verschiedenartiger Individuen existiert, die ein Überleben der Population auch bei schwankenden Umweltbedingungen garantieren. Die Folgen der Einschränkung dieser natürlichen Variabilität werden deutlich sichtbar bei menschlichen Eingriffen in den Genpool: züchterische Maßnahmen erhöhen die Frequenz von uns gewünschter Gene, wodurch etwa die Produktivität einer Nutzpflanze gesteigert werden kann. Dabei gehen allerdings oft andere Eigenschaften - etwa Resistenz gegenüber bestimmten Krankheiten - verloren (Kießling 1990). Die Bedrohung der genetischen Vielfalt wird schon seit längerem unter dem Begriff der "Genetischen Erosion" im Hinblick auf Nutzpflanzen diskutiert (Riede 1988, s. auch Artikel von R. Fenner in dieser Ausgabe). Genetische Vielfalt ist auch das Rohmaterial der Gen-Ingenieure: Da bisher kein einziges Gen synthetisiert wurde, kann die Gentechnik nur in der Natur bereits vorhandene Gene verpflanzen. Der Verlust genetischer Vielfalt gefährdet somit die materia prima dieser "Zukunftstechnologie" massiv (Riede 1987). Der Artenreichtum tropischer Ökosysteme bringt einen entsprechenden Reichtum genetischer Ressourcen mit sich. Bei der Umweltkonferenz in Rio ging es deshalb unter anderem auch um die Frage, wem die genetischen Ressourcen der Tropenländer gehören sollen, womit auch diffizile patentrechtliche Fragen verbunden sind.

Die Erhaltung genetischer Vielfalt ist in tropischen Ökosystemen besonders schwierig: die meisten tropischen Arten sind äußerst selten und bilden nur kleine Populationen (siehe unten). Populationsgenetiker betrachten jedoch eine Individuenzahl von 500 als minimale Größe für eine überlebensfähige Population. Durch Einschränkung ihres Lebensraums wird diese minimale Populationsgröße von seltenen tropischen Arten oft nicht mehr erreicht: Von manchen raren Baum- oder Säugetierarten wie z.B. dem Sumatranashorn gibt es nur noch wenige letzte Überlebende in zu kleinen Regenwaldfragmenten - oder sie existieren überhaupt nur noch in zoologischen Gärten, wo man mittels sorgfältig überwachter Zuchtbücher genetische Verarmung durch Inzucht zu vermeiden sucht. Der US-amerikanische Tropenbiologe D. Janzen spricht von den "lebenden Toten", wenn etwa in isolierten Regenwaldinseln das letzte Individuum einer Baumart stehen bleibt, das keine Chance mehr hat, bestäubt zu werden und Samen auszubilden.

Tropische Artenvielfalt

Die hohe Artenzahl ist die herausragende biologische Eigenschaft tropischer Ökosysteme: innerhalb des Tropengürtels steigt sie bei fast allen Tier- und Pflanzengruppen um das 10 bis 100fache im Vergleich zu den jeweiligen außertropischen Verwandten. Vor etwa einem Jahrzehnt entbrannte unter Biologen eine heftige, teilweise polemisch geführte Diskussion um die Anzahl der auf der Erde existierenden Arten (Erwin 1991). Auslöser war eine kurze Veröffentlichung des US- Käferforschers Erwin (1982), der aufgrund von Insektensammlungen im tropischen Südamerika mittels einer Hochrechnung die Zahl der derzeit auf der Erde lebenden Arten auf 30 Millionen schätzte, wobei die Insekten den größten Teil ausmachen. Diese Schätzung wird zwar wissenschaftlich angefochten (Gaston 1991), doch akzeptieren inzwischen wohl alle Wissenschaftler eine Minimalzahl von 5 Millionen Arten, von denen die meisten in den Tropen zu finden sind. Die Gründe für diese gegenüber den Außertropen um Größenordnungen erhöhte tropische Diversität sind noch weitgehend unverstanden, derzeit konkurrieren mehrere wissenschaftliche Erklärungsmodelle (Riede 1990b). Dabei ist besonders schwierig zu verstehen, daß bei 10-100fach erhöhter Artenzahl die Produktivität tropischer Ökosysteme im Vergleich zu den Außertropen höchstens um das drei- bis fünffache erhöht ist. Bei zehnfach höherer Artenzahl bedeutet dies, daß die einzelne tropische Art im Vergleich zu subtropischen Verwandten in geringerer Biomasse vorkommt und damit individuenärmere Populationen bildet. Diese sind in ihrer Verbreitung oft auf kleinste Gebiete beschränkt, die manchmal nur wenige Quadratkilometer umfassen ("Endemismen"; Riede 1990b). Mit der großen Artenvielfalt einher geht daher die Seltenheit der Individuen einer Art. Oft gründet die wissenschaftliche Beschreibung einer Insektenart auf einem einzigen Museumsexemplar. In seinem ehemaligen Verbreitungsgebiet findet man heute oft nur noch Plantagen, Minen oder einen Golfplatz. Die Art ist möglicherweise schon ausgerottet.

Von Roten und Grünen Listen

Die Gesamtzahl tropischer Organismen kann leider nur geschätzt werden; für ihre genaue Erfassung bestünde großer Forschungsbedarf, bleibt jedoch wahrscheinlich zu wenig Zeit. Nicht einmal die Zahl der wissenschaftlich bereits beschriebenen Organismen läßt sich genau benennen - sie liegt irgendwo zwischen 1,8 und 1,9 Millionen. Diese Ungenauigkeit betrachtet der britische Ökologe R. May (1992) als Ausdruck für den geringen Stellenwert, den biologische Vielfalt in unserer Gesellschaft einnimmt. Im Computerzeitalter sind nicht einmal die Namen und Beschreibungen der bekannten Organismen in einer elektronischen Datenbank erfaßt. Neu hinzukommende Beschreibungen werden oft in schwer zugänglichen kleinen Journalen veröffentlicht, deren Beschaffung oft selbst Spezialisten große Mühe bereitet.

Unbestreitbar ist, daß die Erkenntnis unserer Unkenntnis die biologische Bedeutung tropischer Lebensräume weiten Kreisen der Öffentlichkeit sowie der "scientific community" überhaupt erst bewußt machte. Diese an sich erfreuliche Nachricht wurde überschattet von der Erkenntnis, daß die großflächige Tropenwaldvernichtung zwangsläufig die Auslöschung der sehr kleinen und oft regional beschränkt vorkommenden Populationen zur Folge haben muß. Je nachdem, ob man von einer Gesamtzahl von 5 oder 30 Millionen Arten ausgeht, werden damit bei der unvermindert anhaltenden derzeitigen Waldvernichtungsrate von mindestens einem Fußballfeld pro Sekunde (Skole und Tucker 1993) zwischen 50 und 300 Arten pro Tag vernichtet. Solange diese Opfer jedoch anonym bleiben, besteht die Gefahr, daß wir die Ungeheuerlichkeit dieser täglichen Vernichtung nicht begreifen und uns an diese Zahlen gewöhnen. Es ist daher von größter Bedeutung, die existierende Vielfalt zu erfassen und bedrohte sowie vernichtete Arten beim Namen zu nennen. Insbesondere in den betroffenen Ländern haben konkrete Listen und Angaben oft eine größere Wirkung als pauschale Aussagen über "tausende vernichteter Arten".

Bedrohte Arten werden in Roten Listen geführt, doch ist das "Aufnahmeverfahren" kompliziert und langwierig. Eine sinnvolle Ergänzung wären daher "grüne Listen" von Arten, die tatsächlich vor Ort vorhanden sind, und ihr Vergleich mit den aus der Literatur bekannten Daten (was ohne Datenbanken allerdings schwierig wird). Solch ein Vergleich mit älteren Informationen kann zu deprimierenden Erkenntnissen führen: So fand der amerikanische Ornithologe J. Diamond von 164 für die Salomon-Inseln bekannten Vogelarten 12 trotz intensiver Suche nicht mehr vor, obwohl nur eine Art in der Roten Liste aufgeführt wird. Bei einer vierjährigen Untersuchung der Süßwasserfischfauna Malaysias fand man von den 266 für die Halbinsel bekannten Arten nur noch 122, das heißt mehr als die Hälfte aller Arten ist wahrscheinlich ausgestorben (May 1992). Ein Vergleich der einst vorhandenen und Kontrastierung mit den heute noch vorzufindenden Arten wäre eine wesentliche Argumentationshilfe bei der Diskussion um den Schutz von Regenwaldgebieten, denn pauschale Argumente werden in den betroffenen Ländern meist als neokolonialistische Einmischung abgetan. Zwar sind die Bewohner einer Vielzahl tropischer Länder durchaus stolz auf ihren biologischen Reichtum, doch wie kann dieser geschützt werden, wenn man ihn nicht genau kennt? Viele Veröffentlichungen (die vorliegende eingeschlossen) sind in den Tropenländern aus sprachlichen oder finanziellen Gründen nicht verfügbar. Oft erreicht nicht einmal die wissenschaftliche Beschreibung einer neu entdeckten Art das Herkunftsland. Sammlungen und Informationen werden in den Museen des industrialisierten Nordens gehortet, während in den Tropenländern nicht einmal einfache Listen der dort gesammelten Schätze existieren! Hier besteht ein weites Feld für eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd. Eine vorbildliche Initiative ist das RAP (Rapid Assessment Program) der US-amerikanischen Naturschutzorganisation Conservation International (Parker und Carr 1992). Expertenteams versuchen dort in zwei- bis achtwöchigen Expeditionen wichtige Tier- und Pflanzengruppen wenig bekannter Regenwaldgebiete zu erfassen sowie ihre Gefährdung abzuschätzen. Die Untersuchungen werden zusammen mit Empfehlungen an die jeweiligen Regierungen als "working papers" sofort veröffentlicht und den Regierungen sowie allen Interessierten zur Verfügung gestellt. (Am 3. August 1993 sind dabei tragischerweise der bekannte Tropenbotaniker Al Gentry und der Ornithologe Ted Parker bei einem Flugzeugunglück im ecuadorianischen Küstengebirge ums Leben gekommen.)

Die Vielfalt tropischer Lebensräume

In der öffentlichen Diskussion ging es bisher vor allem um "Tropische Regenwälder" (immergrüne Regenwälder innerhalb des Tropengürtels mit Niederschlägen von mehr als 2000 Millimeter pro Jahr und ohne längere Trockenzeit), während andere tropische Lebensräume kaum Beachtung fanden. Doch auch diese Habitat-Diversität ist bedroht. Der US-Tropenbiologe Daniel Janzen (1988) verweist beispielsweise auf die Wichtigkeit tropischer Trockenwälder, die sich durch ausgeprägte Trockenzeit mit Laubabwurf auszeichnen und von denen in Mittelamerika nur noch ein Prozent erhalten sind. Diesen Guanacaste-Wald versucht die Organisation of Tropical Studies (OTS) durch Ankauf zu retten. Da die Pflanzenwelt der Trockenwälder Dürreperioden überstehen kann, enthalten sie ein großes Potential an Nutzpflanzen für tropische und subtropische Regionen mit Trockenzeit.

Auch innerhalb der Regenwaldgebiete beschränken sich die Diskussionen und Schutzbestrebungen auf bestimmte Regionen: An erster Stelle stehen die Regenwälder Amazoniens, erst weit danach folgen die Südostasiens, während die austral-orientalischen, zentralafrikanischen oder madagassischen Wälder kaum Beachtung finden. Der Fortbestand praktisch der gesamten Halbaffenfauna Madagaskars, der Lemuren, ist auf Gedeih und Verderb an den Erhalt der Wälder dieser Insel gekoppelt. Viele Lemurenarten existieren bereits jetzt nur noch in zoologischen Gärten, andere sind gar nicht züchtbar. Der atlantische Küstenregenwald Brasiliens existiert nur noch auf höchstens fünf Prozent seines einstigen Verbreitungsgebietes. Darin ist aber immer noch eine höhere Artenzahl als in vergleichbaren Flächen Amazoniens zu finden (Por 1992). Diese Schutzgebiete müssen erhalten und möglichst erweitert werden, extrem gefährdete Arten notfalls ex situ gezüchtet werden. In den größeren Regenwaldblöcken hingegen sollte ein umfassendes Schutzkonzept nicht beim Abgrenzen von Reservaten stehen bleiben. Die Gefahr ist groß, daß die deklarierten Reservate als Freibrief für eine schonungslose "Entwicklung" der umgebenden Gebiete verstanden werden. Nur eine umweltverträgliche Entwicklung in den umgebenden Gebieten kann verhindern, daß der Druck auf die Schutzgebiete durch Wilderer, illegalen Holzeinschlag und touristische Erschließung so steigt, daß ein wirksamer Schutz praktisch unmöglich wird. Darüber, was umweltverträgliche Entwicklung jedoch ist, gehen die Meinungen weit auseinander. Einigkeit herrscht wohl darüber, daß traditionelle Regenwaldbewohner schonend mit ihrem Lebensraum umgehen, doch für eine erfolgreiche Beteiligung indigener Gruppen am Schutz des Regenwaldes gibt es nur wenige Beispiele (Holloway 1993).

Bedrohte tropische Lebensräume sind auch die Korallenriffe, die in ihrer biologischen Vielfalt zu Recht mit tropischen Regenwäldern verglichen werden (Connell 1978), außerdem Mangrovenwälder, Inselfaunen sowie die alpin-tropischen Biome. Mangrovenwälder als Nahtstellen zwischen terrestrischen und aquatischen Ökosystemen sind an der Westküste Ecuadors und inzwischen auch in Südostasien durch die Zunahme von Krabbenfarmen extrem bedroht.

Oft sind diese Biome miteinander vernetzt: Bodenerosion durch Abholzung von Wäldern in Südostasien verschmutzt Flüsse, die die Sedimentfracht in die vorgelagerten Küstenregionen transportieren, wodurch die Korallenriffe zerstört werden, Bergregenwälder bieten etwa während Trockenzeiten wichtige Nahrungsressourcen für Tiere des Tieflandregenwaldes, Migrationsbewegungen von Menschen aus den ökologisch ruinierten tropischen Hochlandregionen Mexikos und der Andenregionen in die angrenzenden Tieflandregionen führen dort zu massiver Zerstörung aufgrund nicht angepaßter Landwirtschaft.

Menschliche Aktivitäten führen hingegen oft zu ungewollter Vernetzung von seit jeher voneinander isolierten tropischen Lebensräumen. Durch enorm gewachsenen Schiffsverkehr werden etwa Ratten und Unkräuter auf tropische Inseln verschleppt, wo sie die hochspezialisierte Inselfauna wie etwa flugunfähige Vögel vernichten. Die Organismen auf der Gewinnerseite in diesem pantropischen Chaos sind meist keine Freunde des Menschen: eine Unzahl von durch Insekten übertragenen und einst regional beschränkt vorkommenden Arboviren können sich nun weltweit ausbreiten (Yuill 1986). Ein trauriges Beispiel gut gemeinter, aber unüberlegter Einführung eines fremden Organismus in ein tropisches Ökosystem ist der Aussatz des Nilhechts in den Viktoriasee in Afrika, wo dieser die gesamte artenreiche Buntbarschfauna (etwa 4000 Arten) verdrängt hat. Hier könnte viel erreicht werden durch verschärfte Kontrollmaßnahmen und Programme zur Ausrottung eingeschleppter Organismen, wie dies in vorbildlicher Weise bereits auf Galapagos und Neuseeland geschieht.

Schließlich wird Habitat-Diversität durch globale Klimaveränderungen bedroht. So ist beispielsweise das derzeit in der Karibik zu beobachtende Korallensterben wahrscheinlich auf einen sommerlichen Anstieg der durchschnittlichen Meerestemperatur um nur zwei Grad bedingt. Die zu befürchtende Erhöhung des Meeresspiegels bedroht die flachen Inseln des indopazifischen Raumes. Und perodische Feuer schließen nun auch einstmals nicht feuergefährdete Regenwaldregionen mit ein.

Resumee

Seit ungefähr sechs Jahren wird intensiv über die Vernichtung der tropischen Regenwälder berichtet. Endlich ist es engagierten Naturschützern und Wissenschaftlern gelungen, daß Politiker aller Parteien und Mitglieder unterschiedlichster gesellschaftlicher Schichten ihre Sorge um die Erhaltung tropischer Vielfalt teilen. Popstars singen für den Regenwald, Kinder kaufen Regenwaldgebiete, und Hersteller von Zigaretten über Parfüm bis Deospray werben mit dem positiv besetzten Regenwald-Image. Das ist gut so, denn ein geschärftes öffentliches Bewußtsein ist die Grundvoraussetzung für dringend notwendiges Handeln. Die traurige Wirklichkeit besteht jedoch aus unvermindert steigenden Abholzraten, zerstörerischen multinationalen Großprojekten in Regenwaldgebieten, und nicht zuletzt grundlegenden Bedrohungen ganzer tropischer Ökosysteme durch weltweite Klimaveränderungen. Nach sechs Jahren muß daher die Frage gestellt werden, warum die vielen Veröffentlichungen, Beschlüsse und Appelle in der Praxis so wirkungslos blieben. Einige mögliche Ursachen habe ich angedeutet. Stark vereinfacht, möchte ich meine persönliche Ansicht, die auf längeren Aufenthalten in Ecuador und Malaysia gründet, wie folgt zusammenfassen. Die Diskussion um die Erhaltung der Tropenwälder findet hauptsächlich in den entwickelten Ländern des Nordens statt. Die Regierungen tropischer Länder sehen hierin eine Einmischung und eine neokolonialistische Verhinderung ihrer eigenen Entwicklung. Daß diese Interpretation nicht ganz abwegig ist, wurde in Rio sichtbar: Das Waldschutzabkommen scheiterte daran, daß die Industrieländer nicht bereit waren, den Schutz ihrer eigenen Wälder in ein solches Abkommen einzuschließen. Damit wurden die Chancen für gemeinsame Lösungsansätze massiv verschlechtert. Wirksame internationale Abkommen sind in weite Ferne gerückt, und wo vorhanden, wird es in absehbarer Zeit keinen internationalen Konsens zur wirksamen Durchsetzung geben. Wie weit die ohnehin weich formulierten Vereinbarungen der Agenda 21 eingehalten werden, wird sich weisen. Nach wie vor gut funktioniert jedoch die internationale wirtschaftliche Verflechtung: bei einer Vielzahl von "joint ventures" sind fragile tropische Lebensräume meist die Opfer der "Entwicklung". Wichtiger als je zuvor sind daher die vielen kleinen Initiativen überall auf der Welt, in denen engagierte Individuen, Wissenschaftler und Nicht-Regierungsorganisationen versuchen zu retten, was zu retten ist. In diesem Kampf Davids gegen den Goliath einer alles zerstörenden Konsumwelt gibt es einen besonderen "Hebel" für kleine Aktionen: Durch das massiv gewachsene öffentliche Problembewußtsein besteht die Chance, daß auf Imagepflege bedachte Konzerne und Regierungen auf fundiert vorgebrachte Nachweise der Vernichtung tropischer Diversität empfindlich reagieren. Dieser Kleinkrieg muß zäh weitergeführt werden, denn die große globale Wende zum Besseren ist bisher nicht in Sicht.

Literatur

ARA (Hg.) (1990): Naturerbe "Regenwald". Strategien und Visionen zur Rettung der tropischen Regenwälder. Ökozid 6, FOCUS Verlag: Gießen.

Connell, J. H. (1978): Diversity in tropical rain forests and

coral reefs. Science 199, 1302- 1310.

Erwin, T. L. (1982): Tropical forests: Their richness in Coleoptera and other Arthropod species. Coleopt. Bull. 36, 74- 75.

Erwin, T. (1991): How many species are there?: Revisited.

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Gaston, K. J. (1991): The magnitude of global insect species richness. Conservation Biology 5, 283-296.

Holloway, M. (1993): Bewirtschaftung des Regenwaldes. Spektrum,

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Janzen, D. H. (1988): Tropical ecological and biocultural restoration. Science 239, 243-244.

Kießling, D. (1990): Große Konzerne - dicke Kartoffeln. Natur 9, 88-93

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Parker, T. A. I., & Carr, J. L. C. (1992): Status of forest remnants in the cordillera de la costa and adjacent areas of Southwestern ecuador. Washington,D.C.: Conservation International.

Por, F.D. (1992): Sooretama, the Atlantic rain forest of Brazil. SPB Academic Publishing bv: The Hague, The Netherlands.

Riede, K. (1987). Es wird weiter geholzt. Die Zeit 7, 66.

Riede, K. (1988). Einfalt statt Vielfalt - die Folgen genetischer Erosion. WWF-Journal 4, 10- 12.

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Wilson, E. O. (Hg.) (1988): Biodiversity. National Academy Press, Washington, D.C.

Wilson, E. O. (1992): Ende der biologischen Vielfalt?. Berlin:

Spektrum Akademischer Verlag.

Yuill, T. M. (1986): The ecology of tropical athropod-borne viruses. Ann. Rev. Ecol. Syst. 17, 189- 219.

Legenden:

STREIFEN I (4 DIAS)

Die Wachsausscheidungen eines pflanzensaugenden Insekts (Fulgoridae) bilden bizarre Anhänge, die sich im Flug wie weiße Schlangen bewegen (Nordwestamazonien: Ecuador).

Die indigenen Bewohner Nordwestamazoniens - hier vom Stamm der Secoya-Indianer - sind hervorragende Kenner ihrer Umwelt. Als Wissenschaftler ist man auf ihre wertvolle Hilfe angewiesen.

Die indigenen Bewohner Nordwestamazoniens - hier vom Stamm der Secoya-Indianer - sind hervorragende Kenner ihrer Umwelt. Als Wissenschaftler ist man auf ihre wertvolle Hilfe angewiesen.

Museumsexemplar der in den 30er Jahren beschriebenen Heuschreckenart Phalaca sarawakensis aus Borneo. Außer diesem "Typusexemplar" sind keine weiteren Exemplare gefunden worden.

STREIFEN II (2 DIAS)

Eine handtellergroße Laubheuschrecke (Tettigoniidae) aus der Kronenregion Nordwestamazoniens ist durch Bedornung wirksam vor zahlreichen Räubern geschützt.

Die Prachtbienen (Euglossinae) erfüllen eine wichtige Funktion als Bestäuber. Mit ihren langen Rüsseln sind die zahlreichen Arten an ganz bestimmte Wirtsblüten angepaßt.

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Lebenslauf:

Klaus Riede studierte in Frankfurt/Main und Tübingen Biologie. Nach seiner Promotion am Max-Planck- Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen untersuchte er drei Jahre Verhalten und Ökologie südamerikanischer Heuschrecken in Argentinien und Ecuador. Seit 1989 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zoologie der Universität Freiburg. Im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Schwerpunktprogramms ("Mechanismen der Aufrechterhaltung tropischer Diversität") untersucht er Artenvielfalt und Kommunikation tropischer Insekten in Malaysia und Ecuador.


last update5-2-2008

Author´s address: Klaus Riede, Zoological Research Institute and Museum Alexander Koenig (ZFMK)
Adenauerallee 160, D-53113 Bonn, GERMANY

phone int+228/9122234
fax int+228/9122291
mail: k.riede.zfmk@uni-bonn.de

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Siehe auch: Riede, K. (1987): Es wird weiter geholzt.
Die Zeit 7, 66.
- Leider immer noch aktuell!